
Es gibt Konzerte, die hört man. Und es gibt Konzerte, die erlebt man. Der Auftritt von Kraftwerk in der Seidensticker-Halle in Bielefeld gehörte eindeutig zur zweiten Kategorie. Gut zwei Stunden lang stand ich nicht einfach in einer Konzerthalle, sondern mitten in einer präzise choreografierten Klang- und Bilderwelt – kühl, streng, faszinierend.
Mein erstes Kraftwerk-Konzert liegt mehr als vier Jahrzehnte zurück. Anfang der 1980er-Jahre, Computerwelt-Tour in Kassel. Damals standen plötzlich Roboter auf der Bühne. Keine Geste zu viel, kein Wort zu viel. Für uns war das revolutionär. Elektronische Musik hatte noch etwas Radikales, Unbekanntes. Kraftwerk wirkten wie Boten aus einer Zukunft, von der man noch nicht wusste, ob man sich auf sie freuen oder vor ihr fürchten sollte.
Zukunft von damals ist längst Alltag
Und nun Bielefeld, 2025. Die Zukunft von damals ist längst Alltag geworden. Computer, Algorithmen, digitale Identitäten – alles selbstverständlich. Umso spannender ist die Frage: Funktioniert Kraftwerk heute noch? Meine Antwort nach diesem Abend: mehr denn je.
Auf der Bühne stehen vier Männer an vier Pulten. Kein Instrument im klassischen Sinn, keine Showgesten, kein Rockstar-Gehabe. Angeführt wird das Ensemble vom inzwischen 79-jährigen Ralf Hütter, dem letzten verbliebenen Gründungsmitglied. Neben ihm: Henning Schmitz, Falk Grieffenhagen und Georg Bongartz. Zusammen bilden sie eine Art Mensch-Maschine-Einheit, unterstützt von LED-Anzügen und einer riesigen Projektionsfläche, auf der Noten, Autobahnen, Raster und Schriftzüge vorbeiziehen.
Kompromisslose Reduktion der Musik
Was mich besonders beeindruckt hat, ist diese kompromisslose Reduktion. Kraftwerk erklären nichts, kommentieren nichts, rechtfertigen nichts. Die Musik steht für sich. Und sie funktioniert. Trans-Europa-Express, Die Mensch-Maschine, Das Model, Tour de France – das sind längst Klassiker. Doch sie klingen nicht nach Archiv, sondern nach Gegenwart. Die Beats sind druckvoller, die Flächen breiter, hier und da blitzt House oder Techno auf. Kein Bruch, kein Stilwechsel – eher eine behutsame Weiterentwicklung. Und obendrein gibt es noch eine Hommage an Hütters 2023 verstorbenen Freund, den japanischen Ausnahmekünstler Ryuichi Sakamoto, den Kraftwerk 1981 in Tokyo kennenlernte und der für Radioaktivität den japanischen Songtext schrieb.
Im Publikum sehe ich viele graue Haare – meine eingeschlossen. Aber auch jüngere Gesichter. Und das ist vielleicht die größte Leistung dieses Abends: Kraftwerk verbinden Generationen, ohne sich anzubiedern. Zwischen den Stücken herrscht oft konzentrierte Stille, fast so etwas wie Andacht. Dann wieder brandet Applaus auf, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.
Kraftwerk – Musik, die auch nach 50 Jahren noch trägt
Als die Zugabe Die Roboter erklingt, habe ich nicht das Gefühl, ein nostalgisches Wiedersehen erlebt zu haben. Eher das Gegenteil. Kraftwerk erinnern daran, dass ihre Musik nie für den Moment gedacht war. Sie war immer Entwurf, Konzept, Zukunftsmodell. Vielleicht ist genau das der Grund, warum sie auch nach über 50 Jahren noch trägt.
Mein Fazit dieses Abends: Kraftwerk sind keine Band im klassischen Sinn. Sie sind ein Zustand. Und dieser Zustand ist erstaunlich stabil.

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